
Meine persönlichen Erinnerungen an Mathematik und Liebe speisen sich zu 78% aus einem Film, den ich im Vorabendfernsehen gesehen habe. Er behandelte auf fiktive Weise einen realen Mathematiker des grob geschätzten frühen 19. Jahrhunderts. „Wegen einer Frauengeschichte“ wie man das im grob geschätzten frühen 19. Jahrhundert nannte, war der Mathematiker zu einem Duell vorgeladen worden. Er wusste, dass er kaum eine Chance hatte, das Duell zu überleben. Doch statt sich in der Nacht zuvor ordentlich auszuschlafen, damit man am Morgen beim Duell fit ist, oder sich vielleicht mit der Frau, um die es ging, ein letztes Mal zu äh, vereinigen, tat er etwas gänzlich unvernünftiges: er arbeitete fieberhaft weiter an einem mathematischen Problem, um es vor seinem wahrscheinlichen Tod zu lösen.
Nachdem ihm das Papier ausgegangen war, beschrieb er fieberhaft die Wände seiner erbärmlichen, weißgetünchten Klause, denn die Papiergeschäfte hatten früher noch nicht so früh auf. Er vollendete die Gleichung, die Sekundanten holten ihn ab, er wurde im Duell getötet. Danach betraten die Sekundanten sein Zimmer um seine Habseligkeiten einzusammeln. Natürlich waren sie ebenfalls Mathematiker, ein Mathematiker würde niemals einen Spielwarenhändler oder einen Friseur als Sekundanten nehmen, obwohl letztere als Sekundanten sehr gut sein sollen. Der Blick der Mathematikersekundanten fiel auf die beschriebenen Zimmerwände, die beschriebenen Papiere und sie erkannten: „Mon Dieu! Er war ein Genie! Er hat DAS Problem gelöst!“ Und heute steht der Name dieses Mathematikers in allen Geschichten der Mathematik. Leider habe ich ihn vergessen.
Aber auch wenn ich den Namen vergessen habe, und das von ihm gelöste Problem ohnehin niemals verstehen werde, diesen Film habe ich niemals vergessen. Ich weiß nicht wie SIE sterben möchten, aber genau so will ich sterben. Zunächst werde ich im Duell für eine geliebte Frau erschossen, und dann stellen meine Hinterbliebenen zu ihrem großen Erstaunen fest, dass es sich bei mir um ein Mathematikgenie gehandelt hat. Ich habe das bereits für den Falle meines Todes in meiner Patientenverfügung folgendermaßen festgelegt: Der leitende Stationsarzt, übernächtigt und bleich, zündet sich eine Zigarette an und sagt: „Gnädige Frau, da ist nichts zumachen. 15 Steckschüsse, alle in die gleiche Wunde, da kommt die ärztliche Kunst an ihre Grenzen!“
Die Frau, für die ich alles gewagt habe, steht an meinem Sterbelager. Mit den Tränen kämpfend sagt sie: „Hättet ihr Euch denn nicht irgendwie…einigen können, Du und Maurice?“ Mühsam antworte ich: „Maurice ist ein Schwein. Er hat gesagt, er würde alles vergessen, wenn ich….“ ein schwerer Husten erschüttert meinen Körper“…wenn ich…eine Nacht mit Bill Gates verbringe, aber….ich konnte nicht.“ Unterdessen haben meine beiden Sekundanten, Sigmund Sinus und Karl von Kosinus, bereits meine Wohnung und ihre Lippen versiegelt, denn ich habe ein unerhörtes kompliziertes mathematisches System buchstäblich in letzter Sekunde entwickelt. „Hättest Du ihm das zugetraut, Karl?“ sagt Sigmund Sinus. „Nee, ich dachte immer der schreibt an so ner Art von Roman“.
Leider entspricht es einem weiteren Gesetz, dass Leute, die sich wie ich mit Texten befassen, selten einen heroischen Tod erleben. Ich erinnere stellvertretend für alle an den österreichischen Schriftsteller Ödon von Horvath. Horvath hat es geschafft, noch vor dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Paris während eines kurzen Gewitters auf den Champs-Elysees von einem herabfallenden Ast erschlagen zu werden.
Obwohl ich also in meiner Patientenverfügung ausdrücklich um einen Tod als verkanntes Mathematikgenie gebeten habe, wird es wahrscheinlich so kommen: Kurz bevor Roland Koch zum achten Mal in Folge zum hessischen Ministerpräsident gewählt wird, werde ich in einem Frankfurter Thairestaurant überraschend von einem umfallenden Sack Reis erschlagen. Der Obduktionsbericht kommt zu dem Ergebnis, dass der Vorfall sich zur Zeit des günstigen Mittagmenues ereignet hat, also irgendwann zwischen 12 Uhr und 14.30 Uhr. Meine Nachlassverwalter finden bei der Durchsuchung meines Arbeitszimmer zahllose CDs vor, die nicht in die Hüllen eingeordnet sind. Als sie meinen PC sichten, stellen sie fest, dass ich 7432 Bilder von der Seite „Nackte Germanisten.de“ heruntergeladen habe. „Hättest Du ihm das zugetraut, Karl?“ fragt Sigmund Sinus. „Nee, ich dachte immer der schreibt an so ner Art von Roman“. Außerdem finden sie noch 2 geheimnisvolle Zettel. Auf dem einen steht in großen Lettern: „Mulch.“, auf dem anderen: „Ludwig Erhardt war ein künstlicher Mensch“. Den ersten Zettel schicken sie an das Literaturarchiv in Marbach, den zweiten an die KonradAdenauerstiftung zur Prüfung.
Die Frau, für die ich all das gewagt habe, reist mit einem sensibel wirkenden Systemadministrator nach Paris und spaziert mit ihm über die Champs-Elysees, um „mal ein bisschen Abstand von all dem zu bekommen“. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach passieren. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 1: 7432.
Original- Handschrift v. Galois: Mathematische Formeln u. “Liberte, Egalite, Fraternite ou la mort”