
“Haben Sie schon gehört? Schambach hat liquidiert!” In der Fahrgasse, an einer Ecke der Konstabler Wache war bis zum 18. November 2010 ein Geschäft zu finden, dass hier nicht mehr hingehört, nicht an diesen Ort, nicht in diese Zeit: Schambach, “Fachgeschäft für Berufskleidung”. Die Schaufenster leer, der Laden geräumt. Schambach existierte dort seit den 1950er Jahren, aufgebaut von Hans Schambach, und über die Jahrzehnte bis 2009 weitergeführt von seiner Tochter Johanna Emilie, generationsüblich genannt: “Hannelore”. Bei Hannelores Tod 2009 stellte sich heraus, dass der Laden schon seit Jahren rote Zahlen schrieb, die von ihr aber stets in aller Stille ausgeglichen wurden. So legt der letzte Geschäftsführer Wert auf die Feststellung, dass der Laden nicht in die Insolvenz gegangen sei, sondern vielmehr “liquidiert” wurde: “Alle ausstehenden Posten werden bezahlt.” Liquidation heißt: jeder bleibt bis zuletzt auf seinem Posten, auch die Außenstände! Die Liquidation als Form des Betriebs-Endes wird nach meinem Eindruck seit den Tagen des schwermütigen Thomas Buddenbrook eher vernachlässigt. Die Ruinierten bevorzugen heute die krachende Insolvenz und folgen dem Ruf: “Rette sich wer kann!” Demgegenüber atmet die Liquidation den Geist von “schmerzlicher Verantwortung”, Konsequenz etc. Insolvenz und Liquidation im Geschäftsleben verhalten sich ähnlkich zueinander wie Mord und Liquidation im Politthriller. Im Fall eines Familienunternehmens wie Schambach ist die Schwermut in den Akt der Liquidation mit eingeschrieben. Hier scheint der Traum einer ganzen Generationenfolge unaufhaltsam und unwiderruflich zu Ende. Indirekt deutete sich das schon darin an, dass Johanna Emilie Schambach den Laden einem Hospiz vermachte. Diese Wahl zur Neubelebung des Geschäftes wirkt eher unoptimistisch.
In dem Buch “Zeitkonserve” wurde Schambach noch kurz vor Toresschluß ein Denkmal gesetzt. Die Mitarbeiterinnen, im Einzelfall seit 5o Jahren im Betrieb (!), erinnern sich darin wehmütig , wie Heinz Schenk hier Kochmützen für den Blauen Bock kaufte und Iwan Rebroff das, was ein Berliner Russendarsteller als Berufskleidung braucht: Herrenunterwäsche. Die örtliche Presse berichtete zum Schliessungstermin mit gebührend lokalpatriotisch gefärbter Trauer. “Klempner, Bauarbeiter, Schornsteinfeger-sie werden Schambach vermissen”, seufzte die Rundschau und die FNP titelte: “Tristess statt Tradition“. In Wahrheit reichte im Schambach die Tristesse der Traditon stets brüderlich die Hand. Das fahle Deckenlicht, der mit Holzfurnier-Regalen, Karteikästenartigen Schubladentürmen und Schau-Kästen aus den 50ern vollgestopfte Verkaufsraum erzeugte das Bild einer Schmetterlingsammlung aus DDR-Tagen- nur ohne Schmetterlinge. Stattdessen drängten sich darin Hemden, Blusen, Blaumänner in unterschiedlichen Stärkungsgraden.

Foto: Schambach.de
Die “Ware”, die, jawohl, hier noch als solche bezeichnet werden durfte, statt es einfach nur zu sein, legte das bejahrte Verkaufspersonal strengen Blickes und nur auf ausdrücklichen Wunsch vor, auf dass sie nicht unnütz befingert werde. Schließlich sind Zimmermannshosen, Servier- und Kittelschürzen von Hause aus empfindliche Güter und Arbeitskleidung trägt man nicht zum Spaß! Hier wirkte noch ein wenig der alte Geist des Einzelhandels weiter, der den Hereinkommenden vor allem minderen Einkommens erst einmal mit Mißtrauen daraufhin beäugt, ob er denn trotz naturgemäß mangelndem Sachverstand das Gebotene gebührend zu würdigen wisse.
Aber nicht das hat Schambach den Garaus gemacht. Auch nicht mehr wie noch in den 70er und 80ern die Kaufhaus-Ketten, denn kaum etwas ist so spezialisiert wie ein Geschäft für Berufskleidung. Wer ist schuld? Das, was immer schuld ist: ” Das Internet ist schuld“, sagt Siglinde Brix, die seit zwanzig Jahren bei Schambach die Kunden beraten hat. „Meine Enkel kaufen ihre Kleidung fast nur noch von zuhause aus, auf Anprobieren und Beratung legen sie keinen Wert.“ So ist es im schuldbewußten Internet auf Fr-Online zu lesen. Die Distanz zum Medium zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Homepage von Schambach bis zum heutigen Tag nichts von der Schließung weiß. Ungerühert zeigt sie Montag- Freitag: 9.15-18 Uhr als Öffnungszeiten an. Interessanter scheint aber, was Frau Brix noch sagt: “Die Menschen wechseln immer häufiger ihren Beruf“, sagt Brix, „deshalb sind sie nicht bereit, viel Geld für die Ausrüstung auszugeben.“
So ist es: In einer Welt ohne eigentliche Berufe braucht keiner mehr Berufskleidung. Aber manch einer sucht sie trotzdem. Zum Beispiel jemand wie ich, der für eine Freundin ein spitzenbesetztes Servierschürzchen benötigt. Oder ein am letzten Öffnungstag von der FNP interviewter Kunde. Er gibt sich als gelernter Schreiner zu erkennen, arbeiten tut er als Aufzugsbauer und kaufen wollte er eine Zimmermannshose. Leider vergeblich.
Denn Schambach ist liquidiert.