Gemeinsinn der Leaks ?
Felix Stadler bietet als Züricher Medien- und Kulturtheoretiker bisweilen überraschende Einsichten, die über den gewöhnlichen Kanon der kulturellen Web-Analyse hinausreichen. Das betrifft besonders einen neuen Text, der sich mit den Kontexten von Wikileaks und von Restrukurierungen gesellschaftlicher Öffentlichkeit beschäftigt. Der Artikel wurde bei Eurozine veröffentlicht und kann hier (auf deutsch hier) nachgelesen werden.

Ein super-empowered individual ?
Bemerkenswert scheint mir dabei die Diagnose von undichten Stellen (leaks) in Organisationen zu sein, die Stadler in inneren systemischen Problemen unserer heutigen Gesellschaften verortet. Was meint das? Das herrschende Modell der Beteiligung von Angestellten, Freiberuflern oder Werkverträglern in professionellen Organisationen steht seit 2 Jahrzehnten unter dem Ideal einer völligen Flexibilität der Engagierten. Unsere engagierenden Institutionen halten diese Verpflichtungsfreiheit für sich selbst besonders hoch, d. h. es gibt keinerlei Loyalität mit Mitarbeitern: der Markt regiert die Handlungen von Firmen wie Administrationen, und zwar auch die gegenüber dem eigenen Stab, dem eigenen Projektteam. Der Job der meisten steht immer auf Kante.
Stadler erkennt diese Ideale als inneren Widerspruch im täglichen Wirtschaftsbetrieb, der sich dann zuspitzt, wenn die gleichen Firmen von ihren auf sich allein gestellten Mitarbeitern die Identifikation mit der Organisation verlangen. Solche Firmenidentität soll helfen, sich selbst dauernd für Hochleistung zu motivieren. Klappt aber nicht wie gewünscht: wieso sollte ich mich für jemanden über ein gewißes Maß hinaus engagieren, gar identifizieren, von dem ich nichts, aber auch gar nichts zu erwarten habe. So sagt es auch die gängige Erklärung des ganzen Wirtschafts-Spiels: bleibe ein Nutzenoptimierer gegenüber der Firma.
Wenn sich also interessantes Wissen auftut in den illoyalen Firmen, dann sind diese alleingestellten Spieler gerne bereit ihr Wissen zu verwerten. Besonders gilt das für ‘super-empowered individuals´, Fachleute mit Spezialwissen, besonders rund um die IT natürlich. Solche Akteure sind vielleicht in der Lage, das Wissen in Kommunikationswege einzuspielen und (“allein”) große Wirkungen zu erzeugen. Die Motivation für undichte Stellen bei Hochqualifizierten gegenüber mächtigen Organisationen scheint also hoch.
Ein interessantes Muster für eine Stadt wie Frankfurt, die voll von alleinkämpfenden Projektmanagern, geschassten und outgesourcten IT-Spezialisten, heruntergestuften Systemadministratoren durchzogen ist, oder was das ganze Spektrum der “Symbolanalysten” und “Kreativen” noch so bietet. Und auf der anderen Seite stehen Hunderte von Finanzfirmen die vor finanzieller Power kaum laufen können, aber die Bedingungen für sie permanent verschlechtern.
Gute Voraussetzungen für neue Öffentlichkeiten könnte man meinen, besonders wenn Stadler klug mitbedenkt, dass öffentliche Stellen das Leak-System selbst kultiviert haben, indem sie gesteuert Informationen über “gutinformierte Quellen” preisgeben, die keinem legitimen Kanal entsprechen. Warum sollte das nicht auch der schlecht behandelte Profi tun?
Stadler bedenkt jedoch einige andere Alternativen nicht, die bei Informationslieferanten wie Öffentlichkeit oft gegen das präsentierte optimistische Modell sprechen. Symbolanalytiker, von denen die Stadt am Main doch so voll ist, sind oft in das System der egoistischen Nutzenoptimierung eingebunden, lassen sich also weniger dazu bewegen, auf eigenes Risiko Informationen einer politischen Öffentlichkeit aus Gemeinsinn preiszugeben – besonders noch dann, wenn es sich für sie weder hinsichtlich des Geldes noch wegen Statusgewinn lohnt. Sie sind schlicht nicht derart kultiviert. Vermutlich wurden auch deswegen trotz der frappierenden Ignoranz der Finanzbetriebe gegenüber ihren “High Professionals” in Frankfurt keine echten Leaks bekannt.
Wenn zugängliches klandestines Wissen von solchen Akteuren genutzt wird, dann eher für die Verbesserung ihrer eigenen Position im konkurrenten Marktgeschehen, von dem diese Stadt doch so strotzt. Dazu passt, dass die Mainstream-Medien grundsätzlich ähnlich illoyal gegenüber Mitarbeitern sind – wozu die “undichten Stellen” dann auch gehören – und im wesentlichen nur an Hype-Stories Interesse haben, die ihnen Vorteile bringen, und nicht einer imagnierten Öffentlichkeit.
Diese Bedingungen zusammengenommen bieten deshalb nicht ein soziales und kulturelles Gewebe, um Leaks zu einer anspruchsvollen neuen Öffentlichkeit aufzubauen. Für sie wird mehr an Status-Gewinn oder sozialer Stärkung verlangt, in das sich kreative Leaks im Gewusel von Städten wie Frankfurt einbetten können. Wie sie zu konstruieren wäre, ist eine spannende Frage.