Erkennen, verstehen und bekämpfen: Die Neuen Konservativen
Hierbei handelt es sich mehr um eine Aufzählung bestimmter Merkmale der Neuen Konservativen, als um einen Artikel im eigentlichen Sinne. Diese Merkmale entstammen nicht einer wissenschaftlichen Definition, sondern dem Empfinden und der Beobachtung des Autors, der die sich entwickelnde neukonservative Bewegung schon seit längerem misstrauisch beobachtet.
Ich halte es für notwendig, diese Konzepte zu beschreiben und zu charakterisieren um sie in der öffentlichen Diskussion erkennen und benennen zu können, sowie wirkungsvolle Gegenstrategien entwickeln zu können.
Folgende Merkmale zeichnen neukonservative Positionen insbesondere aus:
Anitegalitäre Weltsicht:
Die Neuen Konservativen wehren sich (in bester christlicher Tradition des „Gottesgnadentums“) gegen die Annahme, alle Menschen könnten gleich sein. Es findet eine Betonung von rassischen und geschlechtlichen Unterschieden statt.
Diese äußert sich unter anderem in einer Betonung familiärer Werte, die letztlich die Grundlage dafür bildet, dass insbesondere Frauen in ihrer klassischen Geschlechterrolle festgelegt werden.
Konzepte einer staatlichen Erziehung werden mit Verweis auf „angestammte Elternrechte“ oder „individuelle Freiheit“ abgelehnt.
Die individuellen Freiheiten, die Eltern durch eine staatliche Betreuung ihrer Kinder gewinnen könnten, werden nicht anerkannt.
Aufgrund der tatsächlich messbaren statistischen Unterschiede in Bezug auf Intelligenzquotient, Kriminalitätsrate und andere Faktoren zwischen bestimmten ethnischen Gemeinschaften wird pseudowissenschaftlich auf eine entsprechende genetische Disposition dieser Gemeinschaften gefolgert.
Wer hiergegen Kritik erhebt, wird als „weltfremd“ oder „Gutmensch“ gebrandmarkt.
Gleichbehandlungsgesetze, Quotenregelungen und Umweltvorschriften werden als unzulässige und ineffiziente Eingriffe des Staates in die persönliche Freiheit empfunden.
Misstrauen gegen den Staat als wirtschaftlichen Kontrollfaktor. Glauben an den Staat als sozialen Kontrollfaktor:
Die Neuen Konservativen sehen sich selbst als „freiheitlich eingestellt“ und bezeichnen sich teils auch als „liberal“ beziehungsweise „neoliberal“.
Diese Einstellung drückt sich in einem Eintreten für ein möglichst unbeschränktes Recht auf Privateigentum, Reduzierung der Bürokratie und allgemein einen schlanken Staat aus.
Den staatlichen Institutionen wird die Fähigkeit abgesprochen effiziente wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen.
Aus diesem Grund herrscht bei den Neuen Konservativen ein starkes Misstrauen gegen staatliche Eingriffe, die sich beschränkend auf wirtschaftliches Handeln auswirken können.
Gleichzeitig genießt der Staat bei den Neuen Konservativen großes Vertrauen als soziales Kontrollorgan. Es wird von Seiten der Neuen Konservativen regelmäßig gefordert, soziale Verhaltensnormen durch gesetzliche Ge- und Verbote festzuschreiben. Als Beispiele seien zu nennen Verbot von Burka, Kopftuch oder Minaretten, Festschreibung von deutscher Sprache oder christlicher Religion im Grundgesetz, Alkoholverbotszonen in Innenstädten, Verbot sogenannter „Kampfhunde“ und „Killerspiele“.
Um soziale Verhaltensnormen durchzusetzen wird eine Verstärkung der staatlichen Kontrolle gefordert („mehr Polizisten auf den Straßen“, „härtere Strafen“, „Internetsperren“).
Die Neuen Konservativen sind also nur so lange liberal, wie es um wirtschaftliche Freiheiten geht. Sobald es allerdings um von der Norm abweichendes Sozialverhalten geht, fordern die Neuen Konservativen den starken, möglichst repressiven Obrigkeitsstaat und wollen diesem im Zweifelsfall auch das Recht zu foltern und Bürger zu bespitzeln einräumen.
Selbststilisierung als Querdenker, Verfolgte und Opfer der Political Correctness:
Die Neuen Konservativen sind klare Verfechter der Meinungs- und Redefreiheit, so lange es um ihre eigenen Anliegen geht.
Sie verteidigen das Recht den Propheten Mohammed zu karikieren, genauso wie das Recht der NPD auf freie Meinungsäußerung. Auch Aussagen, die eindeutig volksverhetzend oder antisemitisch sind, werden von ihnen als legitime freie Meinungsäußerung akzeptiert. (s. Sarrazins Einlassungen zum „Judengen“)
Öffentliche Kritikäußerungen an ihren Positionen sind für die Neuen Konservativen hingegen keine freien Meinungsäußerungen, sondern werden von ihnen als „Hexenjagd“ oder „Diffamierungskampagnen“ bezeichnet.
Die Neuen Konservativen sehen sich selbst in der Rolle der Querdenker, die unangenehme Wahrheiten aussprechen und Denkverbote durchbrechen. Sie sehen sich als Gegenbewegung zu einem von ihnen imaginierten „linken Mainstream“ in den Massenmedien und verkennen dabei, wie sehr sie selbst den Mainstream der öffentlichen Diskussion prägen.
Kulturdarwinismus, Imperialismus:
Ein zentraler Dreh- und Angelpunkt der Ideologie der Neuen Konservativen ist der sogenannte „Kampf der Kulturen“. Nach dieser darwinistischen, auf das Recht des Stärkeren fokussierten Weltsicht, ist die Welt in unterschiedliche Kulturkreise geteilt, die zueinander in unversöhnlicher Konkurrenz stehen.
Es gelte daher, weil der Kampf der Kulturen angeblich unvermeidlich sei, den eigenen Kulturkreis im Kampf gegen konkurrierende Kulturkreise zu stärken.
Begründet wird diese Auffassung auch damit, dass der eigene Kulturkreis der moralisch überlegene Kulturkreis sei.
Der eigene Kulturkreis habe in Bezug auf Freiheit, Menschenwürde, technischen Fortschritt und Aufklärung den derzeit weltweit höchsten Stand erreicht.
Demnach sei eine Verteidigung des eigenen Kulturkreises nicht nur durch das darwinistische Gebot des Überlebenswillens bestimmt, sondern auch ein Kampf für Fortschritt, Aufklärung und Demokratie.
Aus diesen Überzeugungen der Neuen Konservativen ergibt sich als logische Konsequenz ein Schwarzweißdenken, das heißt „wir, die Kräfte der Aufklärung stehen gegen die rückwärtsgewandte Ideologie anderer Kulturkreise“.
Mit dieser einfachen Formel haben es die Neuen Konservativen geschafft, auch ehemals politisch Linke als Unterstützer und Sympathisanten zu gewinnen.
Diesen entgeht dabei oft, dass die repressiven und rückschrittlichen Konzepte der Neuen Konservativen eine weit größere Bedrohung für Freiheit und Menschenwürde darstellen, als äußere Bedrohungen.
Auch wird in den Denkmodellen der Neuen Konservativen meist vergessen, dass die sogenannten „Kulturkreise“ willkürlich anhand bestimmter Merkmale definiert sind und überhaupt nicht die behauptete homogene Einheit bilden.
Antiimperialistisches Denken, wird als Schwächung des eigenen Kulturkreises angesehen und folglich abgelehnt.
Gesteuerte Volksbewegung. Gefühlsbetontes Agieren vor intellektueller Reflexion:
Die Neuen Konservativen betrachten sich als volksnah. Feinsinnige intellektuelle Unterscheidungen werden von ihnen als „Fachchinesisch“ und „Politikerkauderwelsch“ abgetan.
Stattdessen wird angeblicher „Klartext“, mit anderen Worten Pauschalisierungen und Vereinfachungen, gefordert.
Um diese Pauschalisierungen auf griffige Slogans zu bringen bedarf es allerdings einer aktiven journalistischen und politischen Elite. Diese Funktion übernehmen konservative Denkfabriken von denen es inzwischen eine große Anzahl gibt und die sich oft aus den Stiftungen erzkonservativer Mäzene finanzieren.
Auch wenn die Neuen Konservativen den Eindruck erwecken, es handele sich bei ihnen um eine Graswurzelbewegung und dies vom Einzelnen auch oft so empfunden wird, werden die Denkrichtungen doch von einer Elite vorgegeben.
Kurzfristige Stimmungsschwankungen in der Bevölkerung werden von den konservativen Meinungseliten bewusst forciert.
Hierbei werden (oft durch Schüren von moral panics) stampedeartige „Herdenreaktionen“ in Gang gesetzt, die politische Verhältnisse schnell ändern können.
Dieser Mechanismus wurde beispielsweise in der sogenannten „Tea-Party-Bewegung“, beim Schweizer Minarettverbot und auch in Bezug auf die Integrationsdebatte in Deutschland erfolgreich eingesetzt.
Konservative Politiker können bei entsprechend aufgeheizter Stimmung dadurch punkten, dass sie intellektuell unreflektierte aber populistische Entscheidungen durchsetzen.
Um solche Reaktionen noch besser ausnutzen zu können, wird von den konservativen Denkfabriken in der Bevölkerung der Wunsch nach mehr direkter Demokratie forciert, der sich beispielsweise in der Forderung nach Volksabstimmungen zeigt.
Auch die Erfolge der „Freien Wähler“ sind vor diesem Hintergrund zu betrachten.
Kritiklose Akzeptanz von Tradition
Neue Konservative lehnen das Hinterfragen von eigenen Traditionen weitestgehend ab (fremde Traditionen hingegen werden mit Vorliebe scharfer Kritik unterzogen).
Jede Abweichung von eigenen Traditionen wird von ihnen auf emotionaler Ebene missbilligt, auch wenn es keine logischen Argumente für die Beibehaltung einer Tradition gibt.
Individuelle Freiheit, die von den Neuen Konservativen sonst gerne öffentlich hochgehalten wird, findet nur innerhalb eines traditionellen Kontextes statt.
Wenn beispielsweise ein Bankangestellter beschließen würde, sich individuell zu kleiden, würde dies bei den Neuen Konservativen auf Missfallen stoßen, sofern er sich nicht so kleidet, „wie man sich als Bankangestellter zu kleiden hat“.
Die Tatsache, dass die Kleidung keinerlei Auswirkungen auf die Kompetenz eines Menschen hat würde aufgrund von emotionalisierenden und generalisierenden Argumenten zurückgewiesen („da könnte ja jeder…“).
So werden geradezu atavistische Konzepte wie Tischsitten und Kleiderordnungen von den Neuen Konservativen als wertvolles Kulturgut betrachtet.
Die Haltung der Neuen Konservativen erschöpft sich aber nicht darin, diese Kulturtraditionen selbst zu pflegen, sondern deren generelle gesamtgesellschaftliche Verbindlichkeit zu fordern und somit keinen Raum für individuelle Lebenskonzepte neben diesen Traditionen zu lassen.
An dieser Stelle entlarvt sich ihr angeblich „freiheitliches Denken“ selbst.