Nachbetrachtungen
Zäsur, historisches Ergebnis, Energiewende. Alles wird anders. Damit es weiter gehen kann wie bisher. Wenn wir einmal von der Kaffeesatz-Leserei absehen, die die Befindlichkeiten des Wahlvolkes (eine Subspezies ohnehin nur) zu deuten beansprucht, sind es die Reaktionen der Kapitalmärkte, die uns eher verstehen lassen, was sich gerade abspielt, als die mehr oder minder tiefschürfenden Statistiken oder atemlosen soziologischen Analysen.
Deutlicher als jede andere Kennziffer, mit der diese Gesellschaft gezeichnet werden soll, tritt hier zutage, welcher Kurs eingeschlagen werden soll. Energiepolitik wird zum Markenzeichen eines ausgerufenen „Kapitalismus Soft“, einer Marktordnung mit verkleinertem Restrisiko. Schon gefällt man sich im Schwadronieren über gewaltige Anstrengungen und die Bereitschaft der Industrie, „ihr Scherflein beizutragen“ (Verband der Maschinenbauer auf der Hannover Messe) und der Schaffung – massenhaft – neuer Lohnarbeitsplätze. Die Börsen goutieren diesen neuen Optimismus – der noch nach jeder Krise gepredigt wurde.
Verschiebungen – industriell
Diese „Energiepolitik“ ist nichts weiter als eine periodisch stattfindende Verschiebung im ökonomischen Gefüge und wenn Kernkraft zum Auslaufmodell wird, dann weil sich Kapitalströme ein neues Bett gegraben haben, dieses nun nutzbar scheint. Was so großartig als „Alternative“ daher kommt, ist die nun allgemeine Akzeptanz der Erschließung neuer Felder und Räume, die gewaltige Profite versprechen, mit ebenso großer Unterstützung der „Allgemeinheit“ wie dies die Kernkraft auch einmal war. Die fordistische Fabrikorganisation ist großenteils untergegangen, um effizienteren Strukturen und Institutionen Platz zu machen, genau dies geschieht jetzt wieder unter der Führung „erneuerbarer“ Energien.
Seht her, schreit es uns an, es ist möglich, so weiter zu machen wie bisher. Nur wir verkünden das Rezept, wie das ohne Katastrophe abgeht. Das wertkonservative Moment, vor kurzem noch als Wutbürger denunziert, feiert eine furiose Wiederauferstehung. Der Kapitalismus mit menschlich-ökologischem Antlitz schiebt seine – grüne – Nase über den Horizont. Und die Aktivisten des freien Marktes hätscheln ihre neuen Zöglinge. Damals traf es die Zechen, heute werden es die Kernkraft-Sparten sein, am Kapitalismus und seinen grundsätzlichen Gegebenheiten hat das eine so wenig wie das andere geändert, schon gar nichts an der ihm eigenen sozialen Problematik.
Nicht dass die Katastrophe, die gewaltige Kapitalwerte und Ressourcen zerstörte, dazu zwänge, noch ein jedes solcher Ereignisse hat einen ebenso gewaltigen Boom zur Folge gehabt, war in mancher Hinsicht die Voraussetzung für Wachstumssteigerungen. Es sind Verschiebungen der Befindlichkeiten, die neue Akzeptanzen schaffen und Rechtfertigungen anbieten.
Verschiebungen – im Kopf und der Mitte
Die mittlerweile offen auftretende Melange von Angst ( das Undenkbare ist Realität, faselte eine sichtlich verwirrte Kanzlerin), Sicherheit der Unsicherheit (das Unwahrscheinliche ist eingetreten, dieselbe immer noch verwirrt), der Verlust euphemistischer Wirkung von Plastikwörtern (Restrisiko, Wahrscheinlichkeits-Phrasen, Krypto-Mathematik schlichtweg) ebnet denn auch den Weg, öffentliche Gelder in private Börsen umzuleiten, besonders da dieses Unterfangen nun auch grundgesetzlich gedeckt ist.
Dass die Beteiligung an diesen Wahlen recht hoch war (Landtage), ist der Katastrophe in Japan geschuldet, zumindest ihrem menschen-gemachten Teil. Sie sagt nur in dieser Beziehung etwas aus, der Rest ist Mumpitz.
Für was die Gegnerschaft zur Kernkraft bei den Bewegungen stand, aus denen die GRÜNEN einmal hervor gehen sollten, davon ist schon längst nicht mehr die Rede. Es gehört zur Abteilung „Romantik sozialer Bewegungen“ und ist heute ohne jegliche Relevanz. Warum auch sollte gerade jener Teil der „modernen“ Gesellschaft, der am meisten von den Entwicklungen der letzten 25 Jahre profitiert hat, nur daran denken, die eigene Basis anzugehen. Besonders, da Variationen des ewig gleichen Themas zur Verfügung stehen.
Abseits der aktuellen Katastrophe
Dort, wo Fukushima nicht diesen Stellenwert beanspruchen kann, haben sich die vorherrschenden Tendenzen dieser Gesellschaft verstetigt, die für das Projekt „bürgerliche Zivilgesellschaft“ mittel- und längerfristig nichts Gutes ahnen lassen. Und von einer solidarischen und an sozialer Gerechtigkeit orientierten Gesellschaft ist längst nicht mehr die Rede.
Dies bezeichnet keine Widersprüche, vielmehr passt dies alles zusammen. Die alles überstrahlende Abstinenz eines großen Teiles des Souveräns, die sich an sozialen Lagen festmachen lässt, eröffnet die Räume die für eine weitere Runde in der Reduktion öffentlicher Dienste benötigt werden.
Frankfurt – die Stadt gehört Dir
So repräsentiert die neue alte Mehrheit im Römer noch nicht einmal ein Viertel des hiesigen Wahlvolkes und es ist wohl nicht so weit hergeholt, zu behaupten, dass dies mit ebenjenen Segmenten identisch ist, die von dieser Politik direkt und indirekt profitieren. Die Machtverschiebungen innerhalb der angesprochenen sozio-ökonomischen Gruppen wird hier nur nachgezeichnet und stabilisiert. Die breite Zustimmung des aktiven Wahlvolkes zur sog. Schuldenbremse ist ein weiteres Indiz hierfür, denn hierin spiegelt sich die Ablehnung einer anderen Sozialpolitik, die diese als Infrastrukturpolitik zu begreifen erlaubt und nicht als faux fraises der herrschenden Wertordnung.
Dass dieser Teil aktiv für seine Interessen eintritt und dies zunehmend offensiver gestaltet, macht ihn zur aktuell bestimmenden Größe hierzulande und da er – wie oben gezeigt – weiterer Kapital-Akkumulation nicht nur nicht im Wege steht, sondern geradezu vielversprechende Wege zu dieser aufzeigt, ist er heute dort akzeptiert, wo Fischer ihn dereinst hingeprügelt hat – in der Mitte.
So arbeitet diese Fraktion weiter an dem Versprechen einer bunten und nachhaltigen Welt, die ihr nicht nur wünschenswert (ein ihnen angenehmes Leben), sondern auf dem Stand der Technik auch machbar scheint.
Nur sollte nicht vorschnell der Schluss gezogen werden, dass eine Mobilisierung zur Erhaltung des Lebensraumes einer Käferart zu übertragen sei auf eine die Erhaltung und Erlangung von Chancengleichheit auf ein „gutes Leben(H. Arendt)“ für alle sich verschreibt. Dazu stehen die Fraktionen der bürgerlichen Mitte zu sehr im globalen Wettbewerb (s. auch die Beiträge in dieser Zeitung), zu sehr im Schatten der Kathedralen der post-modernen Religionen, um sich mit derart nebensächlichen Fragen herumzuschlagen.
Die Lippenbekenntnisse der SPD sind hierbei geradezu grotesk, kaum plädiert die Linke für reduzierte Fahrpreise kommen die Jusos mit kostenlos und werden von der naiven Kunst der schönen Stadt (CDU) mühelos konterkariert, deren Ausgestaltung die Grünen zur Chefsache gemacht haben.
Wenn man alles auf den Kopf stellt, ändert sich die Perspektive.
Zugeständnisse – einstweilen
Doch wie stets bei solchen Verschiebungen, enthält dieser Prozess auch die Notwendigkeit, Zugeständnisse an andere Teile zur Stabilisierung der Machtansprüche anzubieten, hier: die Einbindung der jeweiligen Bevölkerung. Ob und inwieweit dies ein emanzipatorischer Schritt sein wird, wird sich erweisen und hängt davon ab, wie stark sich diese Bevölkerung einmischen wird, gerade die Teile, die gerade durch ihre Abstinenz ihre Uninteressiertheit demonstrierten . Um solche Ankündigungen praktisch werden zu lassen, muss man halt auch den Arsch hoch bekommen. Dies gilt vor allem bei kommunalen Belangen, sonst stösst man hier das Tor weit auf, durch das dann New Public Management und andere Spießgesellen Einzug halten werden.
Die Entwicklungen in Frankfurt lassen da nichts Positives erwarten. Und wenn noch so viele Mittelstreifen und Verkehrsinseln begrünt werden.