Im Rahmen des bundesweiten Aktionstags “Wem gehört die Stadt?”, an dem sich am Samstag, den 28. September 500 bis 1.000 Frankfurter beteiligten dokumentieren wir einen Beitrag, der in Auszügen zu Beginn der Demonstration verlesen wurde.
Die Bundestagswahlen 2013 sind vorbei. Sie sind ein Sieg der zynischen Vernunft einer gesellschaftlichen Wahlmehrheit, die weiß, dass sie mit „Merkel auf Nummer sicher geht“, wie es die bürgerliche Presse zu Recht nennt. Die kapitalistische Mehrparteiendemokratie hat uns ihr Versprechen tagtäglich unaufhörlich bis zum Wahltag entgegengerufen: eure Leben sind verunsichert, dass Glück kann längst nicht mehr erworben werden, wir aber versprechen euch eins: Alles wird weniger, aber mit uns habt ihr mehr als woanders. So wird aus dem Wissen des Verzichts eine Botschaft des Erfolgs, die die Mehrheit versteht, weil sie Angst um ihre Zukunft hat.
Auch deswegen steht eine Woche nach der Wahl ein bundesweiter Aktionstag der Initiativen und Netzwerke „Keine Profite mit der Miete – die Stadt gehört allen!“ auf der Tagesordnung. Dieser Termin ist kein Zufall. Wir wissen doch alle, dass nur ein völlig utopisches Wahlergebnis die katastrophalen Wohnverhältnisse vieler Menschen tatsächlich hätte verbessern können. Weder die Große Koalition noch der schwarze Kapitalismus mit einem Schuss Grün werden die Situation der MieterInnen verbessern und eine Stadtentwicklung im Interesse der Ausgegrenzten, der „Abgehängten“ und damit aller Nicht-Privilegierten fördern. Bezahlbaren Wohnraum gibt es nicht umsonst und schon gar nicht an der Wahlurne. Immer noch gilt: Alles muss man selber tun – keine Hoffnung auf die Stadt, den Staat und das Kapital setzen!
Richtig ist aber auch: Alles geht immer auch noch schlimmer. Und wenn der real existierende Kapitalismus sich sein Ergebnis selber malt, dann wird der Horror tatsächlich lebendig. So schrieb im Vorfeld der Bundestagswahlen die „Immobilien-Zeitung“ (vom 12.9.2013): „Mit den Stimmen ihres Wunschkoalitionärs FDP (18%) verfügt Merkels CDU/CSU über annähernd zwei Drittel der Abgeordnetensitze … Nicht mehr im Parlament vertreten ist die Linkspartei, die von den Eurokritikern der AfD verdrängt wird.“ So das Traumergebnis des liberalen Pöbels nach einer Befragung des Lobby-Organs der Immobilienwirtschaft unter 523 „Immobilien-Profis“, wonach mehr als jeder zweite Befragte dieser „Profis“ dem Wahlprogramm der FDP zustimme. Von welchen Interessen waren diese Gewaltphantasie der Immobilienlobby geleitet? In erster Linie richteten sie sich gegen die befürchtete „Mietpreisbremse“ für Neubauwohnungen, die „den Nerv der Immobilienwirtschaft treffe“ und weitere Investitionen in „Betongold“ behindere.
Die hochgesteckten Ziele der Immobilienwirtschaft wurden bei der realen Bundestagswahl nun doch recht klar verfehlt – die geliebte FDP und AfD draußen, Linke drin, die absolute Mehrheit für Merkel auch (knapp) verfehlt. Nach der Wahl fordern die Immobilienprofis wie die bürgerlichen Medien insgesamt von Merkel „Stabilität“, das heißt v.a. eine rasche Regierungsbildung und bloß keinen Kurs weiter ins Soziale. Den „Immobilienprofis“ ist jetzt wichtig, ihre „immobilienpolitischen Inhalte“ in den künftigen Koalitionsvereinbarungen festzuklopfen, d.h. Verzicht auf Steuererhöhungen und möglichst jede „weitere Regulierung“, stattdessen freie Verwertung von Haus- und Grundbesitz. Denn: „Wohnungsmärkte sind Märkte – damit können sich einige in der Politik nicht anfreunden.” (wie Jan Mücke, ein mittlerweile aus dem Bundestag verblichener FDP-Politiker noch auf dem auf dem Immobilientag 2013 keck behauptete.)
Der Immobilienwirtschaft, der Wirtschaftspresse wie ihrem nunmehr im Bund außerparlamentarischen Arm (FDP) gilt die von SPD bis CDU erwogene „Mietpreisbremse“ ohnehin nur als „Symbolpolitik“, d.h. als eigentlich komplett „überflüssig“. Wenn die Finanziers und Projektentwickler nur freie Hand beim Investieren in „Betongold” erhielten – dann bauen sich die Häuser schon von alleine, und eine Einhegung des Mietpreises klingt fast schon wie Staatssozialismus. Im Handelsblatt (23.9.2013) erklärte der Bauverbandsvorsitzende Andreas Mattner: „Mietobergrenzen werden den dringend erforderlichen Wohnungsneubau ausbremsen und die Lage an den angespannten Wohnungsmärkten weiter verschärfen“. Ist das alles nur „Klientelpolitik” – oder steckt da mehr dahinter? Nicht zu bestreiten ist, in Boomtown Frankfurt wird weiter gebaut – allerdings ohne dass hier Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen geschweige denn Prekarisierte oder gar Arbeitslose eine bezahlbare Wohnung finden.
Das Exempel: Die Stadt als Global City
In Frankfurt wird nach den Maximen „freie Fahrt für Investoren“ schon seit geraumer Zeit eine gewinnorientierte Stadtentwicklungspolitik betrieben: Grundstücke werden an Projektentwickler und Großbauunternehmen verscherbelt, hochpreisige Eigentums- und Mietwohnungen werden gebaut, Mieter, die nicht der gewünschten Klientel angehören, werden übergangen, nicht wahrgenommen, schlicht verdrängt. Nachdem die Frankfurter Innenstadt längst dem Tourismus und zur Schau gestellten Konsum preisgegeben wurde, dieser Mischung aus Inseln der zauberhaften Warenwelt, einer Ästhetik des „Authentischen“, den Abgeschmacktheiten von „ländlichen Erzeugermärkten“ und der damit einhergehenden Kontrolle des öffentlichen Raums, werden jetzt die letzten Quartiere der Ausgeschlossenen kolonisiert. Zwei Musterbeispiele für diese Entwicklung: das neue Viertel an der „eleganten” Europa-Allee und das benachbarte ehem. Arbeiterviertel Gallus. In ersten Fall wurde das frühere Güterbahnhofgelände an Immobilieninvestoren vergeben, die dort eine Siedlung für Mieter mit „höchsten Ansprüchen“ planen und nach und nach realisieren, innenstadt- und messenah, die Supershopping-Mall „Skyline Plaza“ gleich nebenan. Die Mietpreise bewegen sich im Segment 14.- € aufwärts. Im zweiten Fall wird ein überwiegend migrantisch geprägter ehem. Industrievorort zum hippen Szeneviertel aufgepeppt, als neuer Sehnsuchtsort eines „lebendigen nachbarschaftlichen Miteinander“, das inmitten von Einfamilienhäusern nun wirklich niemand mehr ernsthaft zu finden glaubt. Insgesamt sieben neue Bauabschnitte werden ins Viertel implantiert, alle von Privatinvestoren fürs „gehobene Publikum“ aufbereitet, um das Gallus endlich aufzuwerten – d.h. gründlich umzustrukturieren und diejenigen Menschen zu vertreiben, die dort nach dem Gusto der Investoren (und der Verantwortlichen der Stadt) nicht mehr hingehören. Ihr Credo: Wer sich eine Mietwohnung in der urbanen City nicht mehr leisten, wer mithin auch in der Boomtown nicht mehr konsumieren kann, der soll doch nach Hessisch-Sibirien, in den hinteren Vogelsberg oder unter die Einflugschneise nach Raunheim ziehen.
Beide Beispiele und ebenso die Entwicklung in Bockenheim, im Ostend und auf dem Riedberg usw. sind typisch für die Frankfurter Stadtentwicklung der letzten Jahren: Bauen, bauen, bauen – indem es die Armen, die Immigranten vertreibt, indem es die Plätze aufräumt, indem es alle Mikroben auszupft, verdrängt es alles, was Bremsklotz für die Aufwertung der Global City sein könnte.
Die Gegenseite sieht das naturgemäß ganz anders: “In Deutschland wird viel zu wenig gewürdigt, dass wir einen funktionierenden Mietwohnungsmarkt haben, der uns vor vielen Torheiten bewahrt hat.” (Michael Voigtländer, Köln, Prof. für Immobilienwirtschaft, Institut der deutschen Wirtschaft, European Business School Oestrich-Winkel)
Gegenbewegungen und berechtigte Fragen
Was lässt sich dieser Stadtentwicklung im Interesse des Kapitals entgegensetzen – in Frankfurt und darüber hinaus? Wir sehen mindestens drei Ansatzpunkte:
Erstens: Erfahrungen austauschen und gemeinsam Abwehrkämpfe organisieren
Von steigenden Mieten über Konflikte mit dem Vermieter bis hin zur Verdrängung aus der eigenen Wohnung – die konkreten Folgen der Inwertsetzung des städtischen Raumes als Kapitalanlage zerstört unseren Alltag, den öffentlichen sozialen Raum und damit unser aller Leben. Weil wir davon aber zunächst nur als Einzelpersonen, als WGs oder Familien betroffen scheinen, ist es nicht einfach, sich zusammen zu erwehren. Fangen aber die BewohnerInnen eines Hauses oder eines ganzes Stadtviertels an, sich zu verständigen, Informationen zu sammeln, und sich gemeinsam zu organisieren, entstehen erste Momente einer unmittelbaren sozialen Handlungsmacht. Ein gutes Beispiel hierfür sind aktive MieterInnen- und Stadtteil-Initiativen oder die Bündnisse gegen Zwangsräumungen, die es mittlerweile in mehreren deutschen Städten gibt und denen es in Berlin bereits mehrmals gelungen ist, Räumungen zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Das subversive Geraune hat bereits begonnen, entfachen wir die soziale Glut dort, wo sie am wenigsten erwartet wird!
Zweitens: Die Stadt in soziales Risikokapital verwandeln
Kapitalinvestitionen in Wohnungen oder Stadtentwicklungsprojekte zielen auf eine schnelle und möglichst risikofreie Rendite. Sind diese Erwartungen bedroht, fließt das Kapital in andere, erfolgversprechendere Bereiche. Daher macht es einfach tatsächlichen Sinn, die Investition in die Städte für das Kapital möglichst unattraktiv bzw. riskant zu machen. Wenn scharfe gesetzliche Regeln und Auflagen fehlen, müssen wir eben selbst die Komplizenschaft aufkündigen. Möglichkeiten gibt es genug: Die oben beschriebene Formen der Selbstorganisierung von Betroffenen zählen ebenso dazu wie der gemeinsame Protest gegen konkrete Entwicklungsprojekte oder ein spontaner, lautstarker Besuch bei Besichtigungsterminen für Luxuswohnungen. Ebenso wichtig ist, die weitgehend in Hinterzimmern fallenden stadtpolitischen Entscheidungen, z.B. die Vergabe von Grundstücken an Investoren, auf die Plätze zu bringen. Häufig werden in der „unternehmerischen Stadt“ Vorhaben erst dann bekannt, wenn die Verträge schon unterschrieben sind. Wir sagen: Sie wollen einen Kapitalismus ohne Demokratie, wir wollen eine Demokratie ohne Kapitalismus!
Drittens: Den Städtischen Raum vergesellschaften
Solange die Wohnungsversorgung und die Organisation des städtischen Raums den Gesetzen des freien Marktes unterworfen sind, bleibt die Verknappung bezahlbaren Wohnraums Grundlage des Geschäfts. Das ist das Prinzip der kapitalistischen Vernutzung von allem Öffentlichen – von der Stadtteilbibliothek, über das Gemeindezentrum bis hin zum kommunalen Wohnungsbau. Daher muss es das Ziel sein, die Wohnungsversorgung in gemeinschaftliche, nicht marktförmige Eigentums- und Entscheidungsstrukturen zu überführen. Wie sehr diese Forderung die herrschende, kapitalistische Form der Stadtentwicklung herausfordert, hat zuletzt die brutale, vom Grünen Bürgermeister Cunitz gedeckte Räumung eines besetzten Hauses in der Krifteler Straße im Gallus gezeigt. Dass dies seit 2012 die insgesamt achte Hausbesetzung in Frankfurt war, (die neunte, die Zeltbesetzung der seit 40 (!) Jahren leer stehenenden OB-Villa durch Leute von Occupy folgte gerade jetzt am Wochenende ) und es aktuell noch eine Vielzahl weiterer Initiativen für selbstorganisierte, nicht-kommerzielle Wohn- und Hausprojekte gibt (z.B. für das Philosophicum am alten Campus Bockenheim), zeigt die schlichte Überlebensnotwendigkeit, den städtischen Raum, Grund, Boden und Häuser zumindest exemplarisch zu vergesellschaften. Wie dies im größeren Maßstab und dauerhaft gelingen kann, ohne die Fehler der staatsdirigistischen Vergangenheit zu wiederholen (z.B. Sozialer Wohnungsbau ohne demokratische Kontrolle), bleibt eine der eine der wichtigsten Herausforderungen aktueller städtischer Bewegungen. Das Recht auf Stadt ist kein exklusives, sondern ein eindeutig kollektives Recht.
Wir werden bleiben. Das Recht auf die Stadt sucht nach der Einheit der unglaublichen Verschiedenheit der zersplitterten sozialen Räume und unserer Lebensweisen. Wenn wir uns selbst in den verschiedensten Formen städtisch organisieren, müssen wir uns zugleich fragen: wie organisieren wir einen Stadtteil, mithin: wie können wir das Klassenverhältnis in der Produktion dieser Verstädterung tatsächlich aufheben? Wie kann das gehen und was brauchen wir dafür? Wir kennen noch keine überzeugende Antwort, aber wir wissen, dass dies eine der Schlüsselfragen ist, auf die eine zukünftige Linke eine Antwort finden sollte. Die Stadt ist ein Terrain der antikapitalistischen Kämpfe. Erobern wir es auch hier zusammen!
Interventionistische Linke (IL) Frankfurt, www.dazwischengehen.org