Der folgende Text bezieht sich auf einen Artikel des Politikwissenschaftlers Werner J. Patzelt, der am 21.05.2015 unter dem Titel “Die Verortung von Pegida: Edel sei der Volkswille” erschien.
Patzelt, der selbst als konservatives CDU-Mitglied und dem Korporationswesen nahestehend gilt, steigt aktuell auch in öffentlich-rechtlichen Medien zu so etwas wie “Deutschlands großem Pegida-Erklärer” auf.
Hierbei zeigt er stets viel Verständnis für Pegida.
Der folgende Text ist als direkte Antwort auf den FAZ-Artikel von Werner J. Patzelt gedacht:
Herr Patzelt gibt gleich zu Beginn zu, dass einige der Pegida-Veranstalter Sätze geschrieben haben, die „eindeutig xenophob, islamophob und rechtsradikal sind“.
Inzwischen hätten sich diese Leute aber im Sinne einer „vernunftgeleiteten Selbstkontrolle“ gemäßigt.
Mir stellt sich hier die Frage, ob es sich hier um eine moralische oder strategische Vernunft handelte, die diese Leute zur Mäßigung Ihrer Aussagen trieb.
Dabei gehe ich von Letzterem aus. Ich halte es eher für unwahrscheinlich, dass die Pegidisten ihre Ressentiments aufgrund des großen Erfolges von Pegida aufgaben.
Viel eher scheint es mir logisch, dass die Pegida-Veranstalter erkannt haben, dass eine Massenmobilisierung mit zu eindeutig rechten Parolen unter den gegenwärtigen Umständen (noch?) nicht geht und sich deshalb aus strategischem Kalkül mäßigen.
Um zu glauben, dass es sich bei den bundesweit auftretenden Pegidisten um Vorboten einer braunen Revolution handelt, muss man übrigens nicht „gespensterfürchtig“ oder „schlecht informiert“ sein, sondern lediglich über ein Bisschen Geschichtsbewusstsein verfügen.
Pegida ist nicht deshalb gefährlich, weil jeder Pegidist ein überzeugter Rechtsradikaler mit Reichskriegsflagge im Hobbykeller wäre, sondern weil dort eben Normalbürger Seite an Seite mit solchen Rechtsradikalen marschieren.
Das streitet Werner J. Patzelt dann ja auch gar nicht ab.
Zitat: Zwar marschieren bei Pegida schon auch Rechtsradikale. Doch die allermeisten der vielen Tausenden von Demonstranten gehören in Dresden zum ganz normalen Volk.
Um es einmal ganz drastisch zu sagen: Auch in den Jahren 1933 bis 1945 war nicht jeder, der auf der Straße laut „Sieg Heil!“ brüllte, ein im Herzen tief überzeugter Nazi.
Es waren Normalbürger, die den Faschismus als Normalität akzeptiert und mitgetragen haben.
Nun akzeptieren wieder Normalbürger, dass Faschisten mit und unter ihnen marschieren und brüllen/rufen gemeinsam „Wir sind das Volk!“.
Ich frage mich dabei sowieso, wer denn genau dieses „Volk“ ist, von dem auch in dem Artikel so oft die Rede ist?
Ich bin wohl blond und deutsch genug um dazugehören zu dürfen.
Aber ist der Großvater meiner Frau, als in Deutschland lebender, aus Rumänien stammender Jude auch Teil davon? Wie würde der durchschnittliche Pegidist hier entscheiden? Darf er auch „Volksgenosse“ sein oder ist er einer von den nicht näher definierten „Anderen“?
Wahrscheinlich hängt dies sogar vom jeweiligen Pegidisten ab. Viele Pegidisten würden wohl sagen, dass er beim „Volksein“ mitmachen darf, wenn er Lust dazu hat und sich hinreichend anpasst. Tatsächlich sind ja nicht alle Pegidisten gleich.
Nur alle sehen sie sich offenbar als Teil eines „Volkes“, wobei der Volksbegriff im Deutschen meist auch eine, mir sehr suspekte, bio-ethnische Komponente beinhaltet.
Einen interessanten Artikel zum Thema Volksbegriff hat übrigens Annette Ohme-Reinicke, Philosophiedozentin an der Uni Stuttgart, für die KONTEXT:Wochenzeitung mit dem Titel „Wer ist das Volk?“ verfasst.
Zitat: “Volk” stammt aus dem Germanischen. “Volc” war die kriegerische Heerschar eines Stammes – und hier liegt die politische Crux: “Das Volk” ist geografisch und ethnisch, also biologisch bestimmt. Zu einem Volk gehört, wer eine bestimmte biologische Abstammung hat und in einer bestimmten Region wohnt. Selbst Immanuel Kant erklärt: “Die Menschen, welche ein Volk ausmachen, können, als Landeseingeborne, nach der Analogie der Erzeugung von einem gemeinschaftlichen Elternstamm … vorgestellt werden” (Rechtslehre § 53). Diesen Bedeutungsgehalt ist das Wort “Volk” nie losgeworden.
Übrigens liegt hierin auch ein klassisches deutsches Missverständnis über die Demokratie als „Volksherrschaft“, da hiermit dem landläufigen deutschen Demokratiekonzept ein bio-ethnischer Anklang gegeben wird, der einem emanzipatorischen Verständnis des demokratischen Gedankens zuwiderläuft.
Dies ist tatsächlich mein Hauptproblem mit Pegida:
Es sind weniger die politischen Forderungen von Pegida, die mir so furchtbar erscheinen. Ich habe das „Positionspapier“ von Pegida gelesen und dort gibt man sich sogar im Rahmen der eigenen geistigen Grenzen flüchtlingsfreundlich und richtet sich vorgeblich nur gegen muslimische Extremisten (und gegen Gender-Forscher, was auch immer diese mit der „Islamisierung des Abendlandes“ zu tun haben). Allerdings steckt auch hier der Teufel im Detail. Denn man will Flüchtlinge laut Programmpunkt drei gerne dezentral unterbringen, also sie nach dem Prinzip „aus den Augen aus dem Sinn“ aus der Stadt karren. Dabei argumentiert man natürlich mit angeblich menschenwürdigeren Unterbringungsmöglichkeiten.
Insgesamt scheint mir dieses Programm für die Menschen auf den Pegida-Veranstaltungen selbst, eher von untergeordneter Bedeutung zu sein. Pegida bleibt in seinen tatsächlich auf den Demonstrationen artikulierten politischen Forderungen sehr heterogen, teils sogar sehr diffus.
Die wichtigste Botschaft scheint mir tatsächlich das „Volksein“ selbst zu sein und zwar als „Volk in politischer Bewegung“. Eine politische Bewegung, die aber „das Volk“ selbst zum politischen Ziel setzt, kann nicht anders genannt werden, als „völkisch“.
Vor diesem Hintergrund muss ich auch sagen, dass mir manche der Anti-Pegida-Proteste ähnlich suspekt sind, wie Pegida selbst. Inzwischen mobilisiert sogar die Bild-Zeitung „das Volk“ gegen Pegida, ganz so als hätte sie nicht selbst jahrelang Ressentiments gegen Ausländer, Hartz-IV-Empfänger, Linke u.s.w. geschürt. Ebenso fragwürdig finde ich es auch, wenn Gegendemonstranten nach einer Pegida-Demo den Platz putzen. Solche kollektiven Reinigungsrituale zwischen Pontius Pilatus und Persilschein haben eine äußerst unsympathische Symbolik. An diesem Punkt hat Patzelt ja sogar Recht.
Wo Patzelt hingegen Unrecht hat, ist in seiner Beurteilung des Journalismus. Angeblich und laut einschlägiger (im Artikel nicht näher bezeichneter) Studien, seien Journalisten durchschnittlich weiter links eingestellt, als der Durchschnitt der Bevölkerung.
Das mag sein, wenn man sich die Absolventenzahl journalistischer Studienfächer anschaut und dann nach Köpfen rechnet. Unsinnig wird dies dann, wenn man einen Blick auf die deutsche Medienlandschaft wirft.
Nehmen wir mal die (größeren) Zeitungen. Als eher nach links tendierend könnte man beispielsweise einstufen:
- Frankfurter Rundschau
- taz
- Zeit
- Süddeutsche
Als eher konservativ bis rechts einstufen könnte man:
- Bild
- Welt
- FAZ
Wobei man hier sagen muss, dass die FAZ tatsächlich an konservativem Profil verloren hat; weit davon entfernt ein „linkes Blatt“ zu sein, ist sie dennoch.
Bei den Nachrichtenmagazinen gibt es von eher links den Spiegel und eher rechtskonservativ den Focus. Wobei der Spiegel auch von seinem ehemals linken Profil so deutlich verloren hat, dass davon kaum noch etwas übrig ist.
Und für Bürger, die noch deutlicher rechts oder links sind, gäbe es da ja auch noch Zeitungen, wie die Junge Freiheit oder die Junge Welt.
Insgesamt geben sich eher linke und eher rechte Blätter hier also vom Grad ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung her nicht viel. Es ist jedenfalls nicht so, dass konservative Meinungen keine Repräsentanz in den Medien hätten.
Ebenfalls stimmt es auch nicht, dass rechte Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt werden.
Thilo Sarrazin konnte seine Thesen vor einem Millionenpublikum verbreiten. Er wurde von den zahlreichen Talkrunden in denen er saß, ja nicht aus- sondern eingeladen.
Dass er dort scharf kritisiert wurde und oftmals alleine gegen alle stand, machte ihn, entgegen der Einschätzung von Herrn Patzelt, nicht zum „Krokodil im Kasperletheater“, sondern zum Hauptdarsteller dieser Runden.
Ironischerweise gilt dies übrigens auch für den Umgang mit Leuten wie Pierre Vogel (der in Bezug auf seine Einstellung zu Homosexualität, Frauenrechte, Ordnungspolitik u.s.w. übrigens ein gestandener rechter Ultrakonservativer ist).
Auch Patzelts Vorstellung, dass die Parteienlandschaft insgesamt nach links gerückt sei, trifft die politischen Realitäten nicht. Zwar ist die CDU nach mehreren Jahren Regierungsverantwortung unter den Prämissen des globalen Kapitalismus nicht mehr die politische Heimat konservativ denkender Bürger, die sie mal war.
Ähnliches gilt aber spätestens seit der Regierung Gerhard Schröders auch für SPD und Grüne in Bezug auf politisch linke Bürger.
Nicht zuletzt war ja dies einer der Gründe dafür, dass sich die Linke auch in Westdeutschland etablieren konnte.
Nun hat sich rechts neben der CDU eine AfD gebildet.
Auch wenn ich es eigentlich nicht mag, rechts und links in einen Topf zu werfen, wie dies von Rechten gerne getan wird, so muss ich hier doch anmerken, dass die Herren Lucke und Gysi eines gemeinsam haben. Wenn einer von ihnen in einer Talkshow auftritt, sitzt er meistens auf dem „heißen Stuhl“ und muss sich gegen die anderen geladenen Gäste verteidigen. Sowohl Gysi als auch Lucke können übrigens geschickt damit spielen und ziehen eine Menge ihrer politischen Reputation daraus, in Talkrunden der scheinbare David zu sein, der gegen eine Horde von Goliaths antritt.
Dies trifft eben mitnichten nur Rechte.
Allerdings scheint mir, dass die AfD als neue Partei rechts der CDU inzwischen selbst ihren früheren Frontleuten Lucke und Henkel suspekt wird, aufgrund dieser vielen wirklich rechtsradikalen „Einzelfälle“, wie Lucke es mal ausdrückte.
Wenn Herr Patzelt annimmt, dass es zu Spannungen kommen müsse, zwischen denen, die „unbeanstandet öffentlich reden dürfen“ und denen, die man „im wechselseitigen Einvernehmen journalistischer und politischer Schiedsrichter zurechtweisen, ja zum Schweigen bringen“ könne, dann baut er einen Popanz auf. Im demokratischen Diskurs hat niemand ein Recht darauf, unbeanstandet reden zu dürfen.
Massive politische und journalistische Zurechtweisungen (sei es zu Recht oder zu Unrecht) muss früher oder später jeder einstecken, der politisch in der Öffentlichkeit steht.
Natürlich muss der, der sich links oder rechts vom Grundkonsens der Gesellschaft bewegt, mehr Kritik einstecken. Wen wundert das?
Gerade linke Kritik macht übrigens auch vor den „eigenen Reihen“ nicht Halt und einige der schärfsten Kritiker von Leuten wie Sahra Wagenknecht, Gregor Gysi oder Dieter Dehm finden sich im linken politischen Spektrum.
Wenn es in der Presse mal wieder ans Linken-Bashing geht (was ja auch nicht gerade selten vorkommt) ist dann die Rede von „innerer Zerstrittenheit“, die wieder einmal die „politische Unfähigkeit“ der politischen Linken beweise.
Wenn Patzelt etwas von der „Klatsche ethischer Empörung“ oder dem „Rohrstock der Satire“ schreibt, wirkt dies auch angesichts der Ereignisse um Charlie Hebdo geradezu grotesk. Fordert Patzelt hier etwa einen öffentlichen gesellschaftlichen Schutzraum für rechtes Denken, der vor ethisch motivierter Kritik oder Satire sicher sein sollte? Solche Schutzräume kann es in einer demokratischen Gesellschaft nun einmal nicht geben, weder für den Propheten Mohammed, noch für Thilo Sarrazin.
Die politische Analyse der deutschen Presselandschaft, die Herr Patzelt in seinem Artikel an den Tag legt, scheint mir doch recht platt zu sein und besitzt außerdem eine enorme Anschlussfähigkeit an Kreise von rechts bis rechtsextrem. Die Rede, dass die Presselandschaft den „Volkswillen“ nicht repräsentieren würde, ist keineswegs neu. Sie diente schon einmal der Massenmobilisierung. Damals war die Rede von der „Judenpresse“.
Leider schließt sich Patzelt dieser Denke in gewissem Sinne an, wenn er Folgendes schreibt:
Der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel, in den Gründungsjahren unseres Landes sehr einflussreich, nannte ihn einst die „Veredelung des empirisch vorfindbaren Volkswillens“. Sie besteht darin, dass im öffentlichen Diskurs Publizisten und Politiker in rationale, unanstößige, diskursiv anschlussfähige Sprache überführen, was sich an Denkweisen oder Interessensbekundungen an den Stammtischen und auf den Internetseiten der Nation ausdrückt, und zwar mit oft ganz unzulänglichen, ja primitiven Mitteln, die ihrerseits manch hetzerische Dynamik entfalten. Unterbleibt dann eine „Veredelung“ des so Vorgebrachten, wie sie gerade Publizisten und Intellektuelle leisten könnten, so wird den von ihren Eliten alleingelassenen einfachen Leuten bald eine akzeptable Sprache fehlen, in der sie ihre Sicht und ihre Anliegen unanstößig ausdrücken könnten.
Patzelt könnte kaum mehr im Unrecht sein:
1. Gibt es zahlreiche Intellektuelle und Journalisten, die alle möglichen pegidafähigen Inhalte „veredeln“ von legitimer Religionskritik am Islam, bis hin zum letzten rassistischen Ressentiment, seien es Henryk M. Broder, Hugo Müller-Vogg, Matthias Matussek, Gideon Böss, Ralf Schuler oder Hildegard Stausberg bis hin zu solchen Gestalten wie Götz Kubitschek, Michael Paulwitz, Manfred Kleine-Hartlage und Martin Lichtmesz.
2. Ist es eben nicht Aufgabe von Intellektuellen, die Ressentiments des Stammtisches aufzugreifen, sie durch elaborierte Sprache und staatstragende Formulierungen zu „veredeln“ und in dieser Form dann salonfähig zu machen.
Die hetzerische Dynamik, die manche Stammtischparolen entfalten, liegt nicht in ihrer primitiven Formulierweise, die nur auf gesellschaftstaugliche Form gebracht werden müsste, sondern in den Inhalten.
Wenn ich mir dann noch die Entwicklungen in Europa anschaue, so denke ich, dass man sich als mittig-demokratisch denkender Bürger um einen gesellschaftlichen Linksruck aktuell keine Gedanken machen muss, sondern vielmehr das Gegenteil befürchten sollte. Man denke nur an den kometenhaften Aufstieg des Front National in Frankreich.
Was aber bleibt unterm Strich in Bezug auf Pegida und die Frage ob man mit Pegida reden sollte?
Da stellt Patzelt einen ziemlichen Allgemeinplatz auf: Der gemeinsame Nenner ist Kommunikation.
Wenn man mit Pegida reden wollte, würde es sich aber alleine schon deshalb als schwierig erweisen, da Pegida trotz der völkischen Dynamiken, die in dieser Bewegung Fahrt aufnehmen, viel zu heterogen (noch?) ist. Man kann also nicht mit Pegida reden, sondern lediglich mit bestimmten Anhängern oder Organisatoren.
In Bezug auf die einzelnen individuellen Pegidisten kann man nur sagen: Natürlich sollte man mit den einzelnen Pegida-Anhängern reden!
Nur wird das Wort „reden“ oft als Chiffre dafür verwendet, sich ihren politischen Forderungen anzugleichen oder ihre Ressentiments salonfähig zu machen. Dies aber ist nicht das gleiche wie reden.
In meinen Augen sind viele der Pegidisten tatsächlich mehr Biedermänner als Brandstifter. Die Brandstifter laufen aber schon mit und man sollte, so lange es Pegida gibt, nicht müde werden, dies zu kritisieren.
Übrigens fällt mir noch eines auf:
Als in Frankfurt bei Blockupy 20.000 Menschen zu einem antikapitalistischen Protest auf der Straße waren, diskutierte man nicht auf breiter medialer Front darüber, ob man mit diesen Leuten „reden solle“. Man redete einfach nicht.
Hier stellt sich doch die Frage, ob es nun rechte oder nicht viel mehr linke Bewegungen sind, die tatsächlich gesellschaftlich marginalisiert werden.