Faschismus light
Hier eine bemerkenswerte Fotoserie des Frankfurter Gradikdesigners und Theatermachers Oliver Utis, die den momentanen Stimmungen der Postpolitik mit Hilfe einer verfremdeten Werbeästehtik nachspürt.
Der Anlass ist Griechenland, die Machthaber in Europa, die deutsche Journaille dazu und die Reaktion der deutschen Bevölkerung darauf. Vor allem letzteres. Wie die Lemuren des Vierten Höllenkreises drückt man die Last, die einen selbst verletzt, mit dem eigenen Leibe gegen Andere. — Wie in dem alten Witz: “Ein Mensch wird von einer Fee besucht. ‘Ich werde dein Glück machen’, spricht sie, ‘und dir jeden Wunsch erfüllen, welcher es auch sei. Aber wisse, was immer du dir wünschst: Deinem Nachbarn gebe ich das Doppelte davon.’ Der Mensch überlegt eine Weile, dann grinst er und antwortet: ‘Nimm mir ein Auge!’” — Es spielt keine Rolle, dass Neoliberalismus, dass Austeritätsprogramme, Deregulierung, Schwächung der Armen und Begünstigung der Reichen einem selbst schaden. Daher braucht man nicht zu glauben, dass nur die “richtigen Argumente” Gehör finden müssten. Ich behaupte: Es gibt bereits ein uneingestandes Halbbewusstsein der Zusammenhänge. Aber wie bei Borderlinern unter Schneidedruck muss geschnitten werden und das Messer soll universal sein.
Doch Griechenland ist nur der Anlass für diese Bilderserie. Die kulturellen Bedingungen, welche diese universelle ethische, ästhetische und metaphysische Verelendung ermöglichen, reichen tiefer. Unsere Sehnsüchte, Sinnsuchen, intuitiven Grundüberzeugungen — die ganze Struktur unseres Begehrens und die Phänomenologie unserer Weltsicht sind nicht “natürlich”, sondern artikulieren sich in sprachähnlichen Mustern. Das nannte man früher “Geist”. Unsere Zeit ist die Schöne Neue Welt. Der Zeitgeist kodifiziert Ideale des guten Lebens in Redeweisen und Visiotypen, die unser Begehren normieren, und zwar sogar bis in die sexuellen Regungen hinein. In diesem Sinne ist Werbung religiöse Kunst. Die so kodifizierten Vorstellungen vom guten Leben stehen zwar vordergründig im einfachen Gegensatz zum realen Horror, doch genau in der einfachen Abstraktheit dieses Gegensatzes sind sie unmittelbar verbunden.
In Bezug auf diese Phänomenologie der Schönen Neuen Welt, ihre Ästhetik und ihre Metaphysik (und meines Erachtens nur darauf, denn nur das ist ihr eigenes Feld) muss Kunst politisch sein. Andernfalls ist es leicht, in das Muster vordergründiger Abgrenzung bei wirklicher Komplizenschaft zu fallen.
Wie schön der “Faschismus light” der Homogenität (d. h. der Normalität, des Allgemeinen) und der “Faschismus Classic” der gewalttätigen Außenseiter zusammenspielen, kann man an der Flüchtlingsproblematik gegenwärtig schön beobachten.